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BAG: Arbeitgeber sind zur Zeiterfassung verpflichtet

 
 
 

 

 

 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 13. September (Az.: 1 ABR 22/21) ein für die Praxis sehr bedeutsames Urteil gefällt. Das BAG hat entschieden, dass Arbeitgeber aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes dazu verpflichtet sind, ein System bereitzustellen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Da die Arbeitszeiterfassung auf unterschiedlichste Art und Weise umgesetzt werden kann, bleibt die Frage nach dem Wie jedoch weiter offen. Durch die Corona-Pandemie und die damit verbundene Arbeit im Home-Office haben Unternehmen vermehrt auf die Vertrauensarbeitszeit zurückgegriffen, sodass die arbeitsrechtliche Fragestellung durchaus brisant ist. Doch die Entscheidung des BAG ist auch aus datenschutzrechtlicher Sicht von besonderem Interesse.

 

Das Wichtigste in Kürze

  • Arbeitgeber sind verpflichtet ein System für die Arbeitszeiterfassung bereitzustellen.
  • Dem Betriebsrat steht hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung kein Initiativrecht zu.
  • Die Ausgestaltung der Zeiterfassung ist bisher noch offen.
  • Die Dokumentation der geleisteten Arbeitszeiten enthält personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO.

 

Sachverhalt

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Frage, ob dem Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zusteht. Die Arbeitgeberinnen unterhalten eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb. Sie schlossen 2018 mit dem antragsstellenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Parallel dazu verhandelten die Parteien über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung, wobei es zu keiner Einigung kam. Es kam zur Einleitung eines Beschlussverfahrens seitens des Betriebsrates, nachdem die Arbeitgeberinnen die Zuständigkeit der angerufenen Einigungsstelle gerügt hatten. Der Betriebsrat begehrte in dem Beschlussverfahren die Feststellung, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht.

 

LAG Hamm: Betriebsrat steht ein Initiativrecht zu

In der Vorinstanz hat das Landesarbeitsgericht Hamm dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben und bejahte ein Initiativrecht des Betriebsrats. Im Sinne eines Mitgestaltungsrechts könne dem Betriebsrat grundsätzlich auch die Initiative zukommen, in mitstimmungspflichtigen Angelegenheiten Verhandlungen aufzunehmen und zu verlangen. Dies würde auch dem gesetzgeberischen Willen des BetrVG entsprechen. Insbesondere enthalte der § 87 BetrVG in seiner Eingangsformulierung keine Aufspaltung der Mitbestimmungsrechte in solche mit und ohne Initiativrecht.
Das LAG Hamm ist mit dieser Entscheidung von einem älteren Beschluss des BAG vom 28.11.1989 (Az.: 1 ABR 97/88) abgewichen.

 

BAG: kein Initiativrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

Gegen diese Entscheidung des LAG Hamm haben die Arbeitgeberinnen Rechtsbeschwerde eingelegt. Diese Beschwerde hatte nun vor dem BAG Erfolg. Das BAG lehnt ein Initiativrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ab. Das Bundesgericht weist darauf hin, dass dem Betriebsrat nur nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten zustehe, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Das BAG stützte sich bei seiner Entscheidung auf § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Danach sei der Arbeitgeber unter unionsrechtskonformer Auslegung gesetzlich dazu verpflichtet die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließe dann ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems zu Zeiterfassung aus.

Zwar vertrat das BAG bislang die Auffassung, dass dem Betriebsrat grundsätzlich im Rahmen von betrieblichen Mitbestimmungsrechten auch ein Initiativrecht zukomme. Eine Ausnahme solle jedoch dann gelten, wenn das Mitbestimmungsrecht eine „abwehrende Funktion“ habe. Also in dem Fall, wenn die Arbeitnehmer vor Maßnahmen des Arbeitgebers geschützt werden sollen. Ein solches Abwehrrecht stelle § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dar.

 

Verweis auf EuGH Urteil

Das BAG stützt seine Entscheidung insbesondere auf ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019. In diesem Urteil entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, die Arbeitszeiten der jeweiligen Arbeitnehmer zu erfassen. Im deutschen Recht ist eine solch umfassende Pflicht für die Zeiterfassung der Arbeitnehmer bislang jedoch nicht ausdrücklich im Gesetz normiert worden. Daher legte das BAG den § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG europarechtskonform aus und begründete damit die Pflicht des Arbeitgebers zur Zeiterfassung seiner Arbeitnehmer und lehnte das Initiativrecht seitens des Betriebsrats entsprechend ab.

 

Art und Weise der Zeiterfassung bleibt jedoch offen

Da seitens des BAG noch keine Begründung der Entscheidung vorliegt, bleibt offen, in welcher Art und Weise die Zeiterfassung zu erfolgen hat. Diesbezüglich gab es weder in dem damaligen EuGH-Urteil noch in dem derzeitigen Beschluss des BAG Konkrete Vorgaben.

 

Datenschutz und Arbeitszeiterfassung

Elektronische Formen der Zeiterfassung sind heutzutage nicht mehr wegzudenken. Doch wie verhält es sich hinsichtlich des Datenschutzes und der Arbeitszeiterfassung?
Da die geleistete Arbeitszeiten personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO darstellen, gilt es bei der Erfassung der Arbeitszeit datenschutzrechtliche Aspekte zu beachten. Nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Durch die Verknüpfung zwischen der Arbeitszeit als Information und dem Arbeitnehmer als identifizierte Person ist die Arbeitszeit unter Art.4 Nr. 1 DSGVO zu subsumieren.

Als Rechtsgrundlage für diese Datenverarbeitung wird Art. 26 Abs. 1 DSGVO angeführt, da die Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses und die Beachtung arbeitsrechtlicher Vorgaben sowie den Arbeitnehmerschutz erforderlich ist. Insofern lässt sich diese Verarbeitung auch auf die Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO stützen.

Problematisch könnten sich jedoch die Erfüllung der Grundsätze des Art. 5 DSGVO darstellen. Insbesondere im Hinblick auf die Zweckbindung ergeben sich in der Praxis regelmäßig Schwierigkeiten, da die Daten zur Arbeitszeiterfassung nicht zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle oder zur Erstellung von Bewegungsprofilen genutzt werden dürfen.

Hinzutreten können aber auch Problemfelder in Fragen der Datenminimierung. Beispielsweise rückt die Zeiterfassung mittels Fingerabdruck oder anderer biometrischer Daten immer mehr in den Fokus. Diese Methode ist jedoch im Hinblick auf den Datenschutz nicht unbedenklich. Derer Fingerabdruck ist ein biometrisches Datum im Sinne von Art. 4 Nr. 14 DSGVO und darf daher nach Maßgabe des Art. 9 DSGVO nur ausnahmsweise verarbeitet werden. Entsprechend einer Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg ist dies für die arbeitsrechtliche Zeiterfassung nicht erforderlich.

 

Vorgaben für die Speicherdauer von Arbeitszeiten

Grundsätzlich dürfen Arbeitszeiten nur so lange aufbewahrt werden, wie dies zur Zweckerreichung erforderlich ist oder gesetzliche Speicherfristen dies vorschreiben. So normiert § 16 Abs. 2 ArbZG etwa eine Mindestaufbewahrungsfrist, der Dokumentationen von Überstunden von mindestens 2 Jahre.

 

 

Fazit

Abzuwarten bleibt die Begründung des BAG und ob dort etwaige Grenzen oder Anforderungen an die Art und Weise der Zeiterfassung gestellt werden. Der EuGH hatte es in seiner Entscheidung noch den Arbeitgebern überlassen, wie diese ihre Systeme zur Zeiterfassung ausgestalten, sofern die Arbeitszeiten objektiv und verlässlich festgestellt werden. Vor allem wird das Urteil des BAG Auswirkungen auf Unternehmen haben, die mit dem Vertrauensarbeitszeitmodell arbeiten. Diesen Zeiterfassungsstil etablierten insbesondere Unternehmen während der Corona-Pandemie, da hauptsächlich im Home-Office gearbeitet wurde. Entweder könnten die Entscheidungsgründe erhebliche Folgen für Arbeitgeber haben, z. B. im Hinblick auf die technischen oder elektronischen Zeiterfassungssysteme oder aber eventuelle Ausnahmen in den Entscheidungsgründen für Arbeitgeber definiert werden.

Es bleibt allerdings auch zweifelhaft, dass die Vorgabe des BAG einer allumfassende Pflicht des Arbeitgebers zur Zeiterfassung dauerhaft Bestand haben wird. Denn letztlich hat der EuGH in seiner Entscheidung 2019 den Mitgliedsstaaten die Pflicht auferlegt eine gesetzliche Regelung dafür zu normieren, wozu der deutsche Gesetzgeber sich bislang nicht aufraffen konnte. Es bleibt also spannend, ob und wann der Gesetzgeber handeln wird.

Trotz dessen müssen Arbeitgeber für eine Zeiterfassung sorgen, wenn sie sich rechtssicher aufstellen wollen. Dazu bedarf es eines geeigneten Zeiterfassungssystems und der Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Bestimmungen.

 

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